Tesele Michielli Hirschstein
Tesele Michielli worked in her husband’s carpentry business and had four children with him. She was a board member of the Union de i Ladis de Anpezo and the working group for the Ampezzo dictionary for 31 years. The book Poeşìes e canzós (2010) contains 37 of her poems. Tesele Michielli has also written numerous stories and translated them into Ampezzan, such as Simonùco e ra bèsties. Although the themes of her poems are rather traditional, they are formally of high level, as the author has mostly written them in free verse without rhyme. The author’s vocabulary is demanding and of high literary quality. Most of her poems go beyond occasional literature.
Ad Anpezo
Voraràe dešcrìe
ra Vàl d’Anpezo
su r’óra chel soróio sìn va şò
el ziél deènta rós come
el coràl, el depénşe
ra cròdes, ra làša un ségn
par duta ra Val.
Fréšca Anpezo
una ruóşa apéna šbociàda
te sós, sui pràde e sui
brašói, el tò bonadór
a dute i daèrşe el cuór.
R’unica al móndo
cošìta bèla,
saràda inze una cónca
una cejùra de cròdes d’intórno
a dute vién vóia de dì:
„Bèla Anpezo
calchedùn t’à benedì“.
Für Ampezzo
Ich möchte so gerne
das Tal von Ampezzo
zur Stunde des Sonnenuntergangs beschreiben,
wenn sich der Himmel
korallenfarben rötet, wenn er
die Berge färbt und ein Zeichen hinterlässt
im ganzen Tal.
Frisches Ampezzo,
du bist eine aufblühende Rose
auf den Wiesen und
den Bäumen, dein guter Geruch
öffnet allen das Herz.
Einzigartig auf der Welt
in deiner Schönheit,
eingeschlossen in einer Mulde,
von Bergen umringt,
so dass alle sagen möchten:
„Schönes Ampezzo,
jemand hat dich gesegnet“.
funtana: Rut Bernardi/Paul Videsott, Geschichte der ladinischen Literatur. Ein bio-bibliografisches Autorenkompendium von den Anfängen des ladinischen Schrifttums bis zum Literaturschaffen des frühen 21. Jahrhunderts (Scripta Ladina Brixinensia III), Bulsan 2014, pl. 1316-1317.
R’àga che ciànta
R’àga ra ciànta
r’etèrna canzón
chiéta ra pàsa
pèrles ra làša.
Ra lùje al soróio
r’à ra pàš sóte el gnée;
se špècia ra cròdes
e el ziél su de éra.
Déra vita fèš parte:
ra piànşe, ra rìde,
ra córe, ra ciànta
r’etèrna canzón.
Das Wasser singt
Das Wasser singt
das ewige Lied,
leise fließt es vorbei
und hinterlässt Perlen.
Es leuchtet in der Sonne,
ruht unter dem Schnee;
es spiegeln sich die Felsen
und der Himmel darin.
Es gehört zum Leben:
es weint, es lacht,
es läuft, es singt
das ewige Lied.
funtana: Rut Bernardi/Paul Videsott, Geschichte der ladinischen Literatur. Ein bio-bibliografisches Autorenkompendium von den Anfängen des ladinischen Schrifttums bis zum Literaturschaffen des frühen 21. Jahrhunderts (Scripta Ladina Brixinensia III), Bulsan 2014, pl. 1317.
A Luš de Luna
L’è duto seren
sura volta del ziel
somea un lago
con tante lumis,
ra luna inze meşo
rà fèš da parona,
ra šteles d’intorno
es feš sirotondo.
Una se šconde
un’outra se študa
el to pensier
ujora lasù,
te bramosees
che una de eres
ra te parle, te conte
el bel de lasù.
L’ocio se perde
inze chel lago zelešte
t’imbarlomiše
duto chel luštro,
i ocie se sara
pian pian,
col cuor lujente
te špete doman.
19 sugno.
Im Mondschein
Das Himmelszelt
ist wolkenlos
gleich einem See
mit vielen Lichtlein,
der Mond in der Mitte
spielt den Herrn,
die Sterne rundherum
tanzen im Reigen.
Einer versteckt sich,
ein anderer erlischt,
dein Gedanke
fliegt hinauf,
du wünschst dir,
dass einer von ihnen
mit dir spricht und dir
vom Schönen dort oben erzählt.
Das Auge verliert sich
im himmelblauen See,
dich blendet
all dieser Glanz,
die Augen schließen sich
ganz langsam,
mit leuchtendem Herzen
wartest du auf morgen.
19. Juni.
funtana: Rut Bernardi/Paul Videsott, Geschichte der ladinischen Literatur. Ein bio-bibliografisches Autorenkompendium von den Anfängen des ladinischen Schrifttums bis zum Literaturschaffen des frühen 21. Jahrhunderts (Scripta Ladina Brixinensia III), Bulsan 2014, pl. 1318-1319.