Pierina Lezuo
Pierina Lezuo begann bereits in den Jahren 1942 und 1943 Gedichte zu schreiben, so dass eine Sammlung von etwa 250 Gedichten existiert. Diese sind recht lang und haben die traditionelle Form von Strophen mit vier alternierenden Reimen oder Paarreimen. Die meisten ihrer Gedichte handeln von der Natur, den alten Traditionen, den typischen Gerichten, den Menschen und Tieren des Tals und vom Glauben. In ihrem Gedichtband Fodom: armonia de na val (1996) wurden einige ihrer zahlreichen Gedichte veröffentlicht, die oft einen ironischen Ton haben. Lezuos Sprache ist einfach und wahrhaftig, aber auch authentisch und fröhlich.
Mëda Mena!
Mëda Mena l eva saubra
la fajâva l pân nte moutra
la dijâva: po… tosate,
vignì cà che ve nsegne a fè ciavate.
Mëda Mena la filâva
de fora l giat l smiaolâva
e dëla la nol badâva
che l ava la roda che cijâva.
L eva brava da di sù
la fajâva n bon ruaciù
e de balote, sacrabolt,
la n fajâva de doi o trei sort.
La lavâva, la soperscëva
la domënia la ciantâva
ilò sul Coro de sua gliejia
chëst per dëla l eva la speisa.
Mëda Mena fora n ciamp
l ava tres de bel guânt
e samont a trè bagoc
i la nvidiâva pa de troc.
Co la jiva con bestiam
la no steva mei deban
la fajâva pa scioloc’
da ie dé a duc suoi fioc.
O co l’ acherle o coi speisc
la laorâva dut sui deic
ogni dì nnautra speisa
de bravura l eva teisa.
Bela flinca de domënie
la jiva a mëssa n mese manie
da la Madona de Rosare
la cambiava n frâgo l vare.
La fajâva maneghins
per duc chi fantolins
che a ji a Mëssa da domân
i no se glace tânt le mân.
De duc sti vuosc nsegnamenc
Mëda Mena son contenc
se duc fajâssa coscì bel
Mëda Mena ve levonse l ciapel.
Frau Mena!
Frau Mena war, wie es sich gehört,
sie knetete den Teig im Backtrog,
sie sagte: also, ihr Mädchen,
kommt her, ich zeige euch, wie man Pantoffelchen macht.
Frau Mena spann,
draußen miaute die Katze,
doch sie achtete nicht darauf,
denn ihr Spinnrad quietschte.
Sie konnte großartig vorbeten,
sie kochte gutes Gebackenes,
und Knödel, sapperlot,
machte sie zwei, drei Sorten.
Sie wusch, sie bügelte,
sonntags sang sie
im Kirchenchor,
das war für sie Lohn genug.
Frau Mena trug auch auf dem Feld
immer ein gutes Gewand,
und auf der Alm bei der Heuarbeit,
beneideten sie viele.
Wenn sie das Vieh auf die Alm trieb,
faulenzte sie nie,
sie schnitzte Hirtenpfeifen
für alle ihre Patenkinder.
Entweder mit der Häkelnadel oder den Stricknadeln
fertigte sie alles mit der Hand,
jeden Tag ein anderes Gericht,
denn sie war so außerordentlich geschickt.
Sonntags ging sie in ihrer Tracht
flink zur Heiligen Messe,
ab dem Rosenkranzfest [7. Oktober]
ging sie etwas bedächtiger.
Sie strickte Handwärmer
für alle Kinder,
damit sie beim morgendlichen Messgang
nicht so sehr an den Händen frieren.
Für all diese Unterweisungen
sind wir, Frau Mena, sehr dankbar,
wenn sich doch alle so vorbildhaft benehmen würden,
vor Ihnen, Frau Mena, ziehen wir den Hut.
funtana: Rut Bernardi/Paul Videsott, Geschichte der ladinischen Literatur. Ein bio-bibliografisches Autorenkompendium von den Anfängen des ladinischen Schrifttums bis zum Literaturschaffen des frühen 21. Jahrhunderts (Scripta Ladina Brixinensia III), Bulsan 2014, pl. 1247-1248.
La liberté
N ucel su na rama
l fèsc n chero cip cip
l é dut che l trëma
l à freit, puoro pit.
L bosch plen de nei
la coa nnevada
mpoié sun chi pèi
l se fèsc na ciântada.
L ven cà sun balcon
l dà na gran ciavatada
ie toma ju n glacion
l se dà na sprigolada.
E po l sgola nte palancin
a cherì doi garniei
ntel stram sot al fen
l se ripara da la nei.
E mi gioure l viere
e clame sto ucel:
vié, sgola nte stua
vié cà sun fornel.
No grazie, cip, cip
no voi fè l prijonier
me n sgole nte bosch
su na rama l é plù bel.
E ciânte e me gode
la mia bela liberté
se è freit me console
che prëst ven l’isté.
Die Freiheit
Ein Vogel auf einem Ast
zwitschert sehr eigenartig,
er zittert erbärmlich,
er friert, armes Vögelchen.
Der Wald ist verschneit,
das Nest voller Schnee,
auf den Stangen sitzend,
singt er ein Lied.
Er lässt sich auf dem Fensterbrett nieder,
man hört ein Gerumpel,
ein Eiszapfen fällt herunter,
und er bekommt einen großen Schreck.
Dann fliegt er auf den Söller,
um einige Körner zu suchen,
im Stroh unter dem Heu
schützt er sich vor dem Schnee.
Und ich öffne das Fenster
und rufe den Vogel:
komm herein in die Stube,
komm auf den Ofen.
Nein, danke, tschip, tschip,
ich will kein Gefangener sein,
ich fliege in den Wald,
auf einem Ast ist es schöner.
Und singe und genieße
meine schöne Freiheit,
wenn ich friere, tröste ich mich,
dass bald der Sommer kommt.
funtana: Rut Bernardi/Paul Videsott, Geschichte der ladinischen Literatur. Ein bio-bibliografisches Autorenkompendium von den Anfängen des ladinischen Schrifttums bis zum Literaturschaffen des frühen 21. Jahrhunderts (Scripta Ladina Brixinensia III), Bulsan 2014, pl. 1249.
Portadoss
N spiz nfreidì dal temp
n teriol strent
che no passa n’arment.
Na mont ruinada
strabaciada.
Na clëva ërta
curta
burta.
Na fontana de ièga chieta
che penghieia
nte na sàla sconuda
senza paruda.
Plù njù l rù
n pontin da sbalzé
e demez,
dezess
n col da vent
domé dal temp.
Piera Spiza de arjent
co la sita e l tonn
e po bon.
L é de le strie
l’ abitazion.
Portadoss
Ein vom Wetter verfaulter Berggipfel,
ein Pfad,
sogar für ein Rind zu eng.
Eine zerstörte Alm,
verunstaltet.
Ein steiler Steig,
kurz,
gefährlich.
Eine stille Wasserquelle
versickert
in eine versteckte Rinne,
ohne Aufsehen.
Weiter unten der Bach,
ein Gatter zum Überspringen
und dahin,
abseits,
ein windiger Hügel,
vom Wetter beherrscht.
Spitzer silbriger Stein
mit Blitz und Donner,
sonst nichts.
Er ist das Zuhause
der Hexen.
funtana: Rut Bernardi/Paul Videsott, Geschichte der ladinischen Literatur. Ein bio-bibliografisches Autorenkompendium von den Anfängen des ladinischen Schrifttums bis zum Literaturschaffen des frühen 21. Jahrhunderts (Scripta Ladina Brixinensia III), Bulsan 2014, pl. 1250.